Dr. André Loh-Kliesch
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Stadt Leipzig
-Der Oberbürgermeister-
Amt für Statistik
und Wahlen
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Widerspruch gegen die Umbenennung der Carolabrücke

Leipzig, den 10.11.2005

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
sehr geehrte Damen und Herren,

gegen die Umbenennung der Carolabrücke in Beethovenbrücke, bekanntgemacht im Leipziger Amtsblatt Nr. 22 vom 29. Oktober 2005, lege ich hiermit fristgerecht

W i d e r s p r u c h

ein, da dies ein 1. unnötiger, 2. unbegründeter und 3. politisch skandalöser Verwaltungsakt ist.

Begründung:

1. Die Umbenennung ist unnötig
Die gegenständliche Brücke hat seit ca. 120 Jahren einen gültigen Namen. Sie ist nach Carola, Prinzessin von Wasa (1833-1907) benannt, die – seit 1853 Gemahlin des Kronprinzen Albert von Sachsen und seit 1873 „Königin“ von Sachsen – sich stark im sozialen Bereich engagierte und verschiedene gemeinnützige Anstalten stiftete. Sollte in der Person von „Königin“ Carola ein Grund zur Umbenennung liegen, sollte dieser vor einer Umbenennung öffentlich diskutiert werden.

Auch ein stattgefundener Ersatzneubau der Carolabrücke erzwingt keine Umbenennung (vgl. z.B. König-Johann-Brücke 1997/1999).

Schließlich liegt auch keine Namensdoppelung mit einer anderen Brücke vor, die zwar postalisch ohnehin unbedenklich wäre, aber zum Zwecke der Orientierung vielleicht eine Umbenennung notwendig machen könnte.

2. Die Umbenennung ist unbegründet
Die veröffentlichte Motivation enthält nur Argumente, deren Gegenteil ebenfalls richtig ist; also keine stichhaltigen Gründe.
a) Benennung nach der Straße, die über sie führt:
Erstens: In vielen Fällen wurden tatsächlich Brücken nach den Straßen benannt, die über diese führen. Mindenstens ebenso viele, vor allem historische und bedeutende Brücken haben aber auch eigene Namen. Mit dem jetzt herangezogenen Argument müssten zahlreiche allgemein bekannte oder gerade aktuell in Diskussion befindliche Brücken umbenannt werden: z.B. Frankfurter Brücke (Jahnallee = Ranstädter Steinweg), Hakenbrücke (Neue Linie), Hohe Brücke (Jahnallee), König-Albert-Brücke (Karl-Heine-Straße), König-Johann-Brücke (Zschochersche Straße), Landauerbrücke (Hans-Driesch-Straße), Sachsenbrücke (Anton-Bruckner-Allee) und Zeppelinbrücke (Jahnallee) und so weiter... Das kann wohl niemand ernsthaft wollen. Zweitens: Die Beethovenstraße führt nicht über die Carolabrücke, sondern sie endet am westlichen Brückenlager. Am östlichen Brückenlager befindet sich die Harkortstraße. Der (falsche) Eindruck, die Beethovenstraße verlaufe über die Carolabrücke, entstand erst, nachdem die gegenüberliegende Kleine Burggasse zur Beethovenstraße gezogen wurde. Spätestens nach deren Umbenennung in „Straße des 17. Juni“ sollten die tatsächlichen Verhältnisse aber wieder klar erkennbar sein. – Das gleiche gilt übrigens auch für die nächst südlich liegende Brücke: die Gewandhausbrücke verbindet die Mozart- und die Riemannstraße; sie heißt weder „Mozartbrücke“ noch „Riemannbrücke“! Eben deshalb wurde die Carolabrücke ausdrücklich nicht „Beethovenbrücke“ genannt! Drittens: Ein Stadtbild wird doch gerade erst dadurch interessant, dass historische Namen auch einmal vermeintliche Regeln durchbrechen können.

b) Stärkung der Identität des „Musikviertels“
Erstens: Die Behauptung, die Brücke liege „im“ Musikviertel, ist falsch. Das Musikviertel befindet sich nur westlich des Pleißemühlgrabens (der Bereich zwischen Mühlgraben und Harkort- bzw. Dufourstraße war schon vorher bebaut; deshalb auch die unterschiedlichen Straßennamen westlich und östlich der Brücken). Die Brücke bildet ein Tor zum Musikviertel. Zweitens: Das Musikviertel ist gerade kein „Musikernamenviertel“. Nur die meisten Ost-West-Straßen (auch nicht alle!) tragen die Namen von Komponisten. Die Nord-Süd-Straßen sind nach Stiftern benannt. Wenn es auf Straßennamen ankäme, könnte das Musikviertel ebenso gut „Stifterviertel“ heißen (Im Übrigen ist die Musikerquote im benachbarten „Bachstraßenviertel“ viel höher, ist das also das Musikviertel?). – Viel entscheidender für die Benennung des Viertels war die Lage des (zweiten) Gewandhauses und der Musikhochschule und des damit verbundenen starken musikalischen Betriebs; auch wohnten viele Musiker in den Häusern des Viertels. – Bei der gedankenlosen Umbenennung sämtlicher im Musikviertel gelegenen Objekte nach Musikern (konsequenterweise wären dann ja auch die Karl-Tauchnitz-Straße und -Brücke, Grassistraße, Wilhelm-Seyfferth-Straße, Ferdinand-Rhode-Straße, Lampestraße, Simsonstraße, Wächterstraße und Schwägrichenstraße betroffen) würde das Viertel mit Sicherheit an Identität verlieren.

3. Die Umbenennung ist politisch skandalös.

a) Grundsätzlich sollte eine Verwaltung nur zwingend notwendige Maßnahmen veranlassen, gerade im sensiblen Bereich von Umbenennungen ist eine besondere Vorsicht angebracht. Eine zwingende Notwendigkeit liegt hier nicht vor. Es handelt sich also um einen Akt beliebiger Willkür.

b) Es wird der Eindruck erweckt, die Person Beethovens wäre der Person von „Königin“ Carola irgendwie vorzuziehen. Ohne stichhaltige Begründung handelt es sich um posthumen „Rufmord“.

c) Es wird eine weibliche Namensgeberin durch einen männlichen Namenspatron ersetzt – als gäbe es diesbezüglich nicht ohnehin schon ein beträchtliches Ungleichgewicht im gegenwärtigen Stadtbild.

d) Es wird sich -ohne Not!- über den politischen Willen der Stadtväter des späten 19. Jahrhunderts hinweg gesetzt, die die Brücke gerade nicht nach Beethoven benannten, obwohl sie selbstverständlich die Möglichkeit dazu gehabt hätten und die jetzt herangezogenen Argumente damals wohl auch schon Gültigkeit gehabt haben müssten. Es gibt keine neuen Sachverhalte, die eine Korrektur der damaligen Entscheidung rechtfertigten.

e) Der Name „Carolabrücke“ hat glücklicherweise fast als einziger die Massenumbenennung der Stadtverwaltung vom 11.10.1950 überstanden, in der unter anderem alle Objekte, die nach Angehörigen ehemaliger Monarchien benannt waren, ihren Namen verloren: vorzugsweise an Maler, Dichter und Komponisten (!). Es ist skandalös, wenn die heutige Stadtverwaltung in nacheilendem Gehorsam oder Gedankenlosigkeit 55 Jahre später die Ideologie ihrer (mitunter als stalinistisch bezeichneten) Vorgänger von 1950 durchsetzt, indem sie die (vergessene oder geschonte) Gattin eines Monarchen nun doch noch durch einen Komponisten ersetzt!

Ich erwarte, dass der unsägliche und unwürdige Beschluss zur Umbenennung der Carolabrücke als nichtig und unwirksam erklärt wird.

Hochachtungsvoll,

 

Dr. André Loh-Kliesch